Nr. 23: Das älteste Haus am Marktplatz
Bauhistorische Untersuchungen weisen ins 13. Jahrhundert und belegen überregionale Bedeutung
Am 22. Februar des Vorjahres setzte ein Elektrodefekt im Nebenhaus das in Gemeindeeigentum stehende, denkmal- geschützte Gebäude der Polizeiinspektion am Marktplatz 23 in Brand. Die in der Folge angelaufenen Restaurierungsarbeiten an der bis ins 13. Jahrhundert zu datierenden Bausubstanz des nach der dort über Jahrzehnte ansässigen Bäckerei als „Wagnerhaus“ bezeichneten Bauwerks legten bislang unbekannte Details frei und lieferten Informationen zur Bauchronologie des überregional bedeutsamen Hauses, die völlig neue Einblicke und eine Neubewertung der spannenden Geschichte des Perchtoldsdorfer Ortszentrums ermöglichen.
Das gegenständliche Haus bildete den südlichen Abschluss des einst wohl rechteckigen Marktplatzes, dessen planmäßige Anlage gemeinsam mit der Erhebung einer vorhandenen Kapelle zur Pfarrkirche 1217 angenommen werden kann.
In Abweichung von den Forschungen Paul Katzbergers, der eine schrittweise Erweiterung des Platzes von der Burg-Kirchen-Anlage her postuliert hatte, ist nunmehr von einer Platzanlage auszugehen, die zwischen Kirchenanhöhe und dem Wegbach als natürlichem Hindernis gespannt war.
Der in West-Ost Richtung fließende Bachlauf war über eine Brücke passierbar, womit ein südlicher Zugang in den Ort von der heutigen Brunner Gasse her gegeben war. Damit bildete sich ein Gegengewicht zur nördlich gelegenen Burg-Kirchen-Anlage, die den dortigen Markteingang von der Hochstraße krönte.
Mit einer landesweiten Urbanisierungswelle um 1200 durch die Landesfürsten wird um 1220/30 ein Phänomen fassbar, das sich zeitgleich auch im Einflussbereich der Erzbischöfe von Salzburg sowie der Kuenringer zeigt und dementsprechend auch von den Herren von Perchtoldsdorf nachgeahmt wurde: Parallel zu repräsentativen, primär als Residenz fungierenden Sitzen (etwa Klosterneuburg, Tulln, Krems, Wien, Wiener Neustadt) entstanden räumlich getrennte Amtshöfe. Diese lagen im Siedlungsverband oft diametral entgegen, an Kanten der Siedlungsbefestigungen und in Tornähe. Sie waren ebenfalls durch große Saalbauten charakterisiert, teilweise auch durch Türme. Schon im Spätmittelalter waren die meisten wieder verschwunden, weshalb sie heute schwer nachweisbar sind.
Nicht so in Perchtoldsdorf: Der Straßentrakt des Hauses Marktplatz 23 besteht im Kern aus einem zweigeschoßigen, 23 x7m großen Längsbau, der somit entgegen den anderen giebelständigen Ackerbürgerhäusern (Parallelhöfen) seine Traufe zum Platz zeigte. Für die innere Struktur kann eine symmetrische Gliederung von zentralem Hauptraum und zwei flankierenden Quadraträumen angenommen werden. Während im Untergeschoß Nebenräume untergebracht waren, kann für das Obergeschoß eine aufwändigere Gestaltung rekonstruiert werden, die sich an einem erhaltenen romanischen Portal und einem Rundbogenfenster ablesen lässt. Die Bauzeit kann in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert werden, aufgrund des groben Mauerwerks wohl dem 2. Viertel des Jahrhunderts.
Hofseitig war dem Rechteckbau ein Annex von innen 3x3m angestellt, der sich heute durch Verputz der eindeutigen Zuordnung zur ersten Bauphase entzieht. Allerdings sprechen deutliche Indizien, wie die Orientierung des Rundbogenportals dafür. Demnach ist zu rekonstruieren, dass es hier eine söllerartige Vorhalle gegeben hat, die im Untergeschoß nicht geschlossen war. Ins Obergeschoß führte wohl südlich davon eine breite Freitreppe, der die Untergeschoß-Belichtung auswich. Ähnliche Vorbauten zu den hoch gelegenen repräsentativen Saalportalen mag es auch an den Babenberger Palasbauten in Krems, Wiener Neustadt, Ybbs und Klosterneuburg aus Holz gegeben haben.
Besonders bemerkenswert ist straßenseitig an der Nordkante ein Konsolstein, der als Fußpunkt eines Giebels zu deuten ist. Er zeigt einen stilisierten Mann, der eine Rolle über seinen Kopf hält. Rollen als Abschluss von Kragsteinen sind in der Romanik geradezu Standard, an Giebelkonsolen etwa in Hennersdorf, Himberg und Pulkau, an ausladenden Fenster-Mittelkämpfern noch häufiger, etwa in Pulkau und Friesach. Derartige Skulpturen sind jedoch äußerst selten, sie könnten eine für Eingeweihte zu verstehende Botschaft getragen haben. Hände, die Rollen bzw. Stäbe halten, findet man etwa an der Kirche der Propstei von Zwettl, der Kirche von Sachsendorf und der Kirche von Naarn im Machlande.
Die Rolle wird in zeitgenössischen Bilddarstellungen als Attribut von Schriftgelehrten und Richtern eingesetzt. Während bei den Kirchen auch an biblische Schriftrollen zu denken ist, muss in Perchtoldsdorf als einzigen bekannten Profanbau in Ostösterreich an eine Kanzlei bzw. an Schreibkundige gedacht werden.
Ein Gegenstück zu Perchtoldsdorf findet sich um 1220/30 etwa in Zwettl neben der Pfarrkirche in sehr ähnlicher Form mit Saalbau und vorgesetztem Turm, der vielleicht auch als Eingang ins Saalgeschoß diente. Ähnliche Funktion dürfte auch der Toppelhof in Mödling gehabt haben. Das besterhaltene Beispiel um 1280/90 ist die Gatterburg in Retz, diagonal zum Stadtsitz an der tiefsten Stelle des Stadtgebiets gelegen. Unter den Salzburger Erzbischöfen sei an den Fürstenhof in Friesach und den Amtssitz in Gmünd in Kärnten gedacht, immer an tiefer Stelle neben der Befestigung und in Tornähe. Im frühen 14. Jahrhundert mag das der Standard gewesen sein, der etwa auch in Kirchschlag am Wechsel und Horn realisiert wurde. Perchtoldsdorf gehört damit zu den frühesten derartigen Verwaltungsbauten und ist auf zeitgleiche Gegenstücke der Babenberger zurück zu führen.
Die weitere Hausgeschichte folgt dem klassischen Muster regionaler Ackerbürgerhäuser und spiegelt Modernisierungen und repräsentative Ausbauten ebenso wie Brand und Kriegskatastrophen wider. Bemerkenswert ist nicht zuletzt die Einbindung der südlich direkt anschließenden steinernen Marktbefestigung, die im Kern aus dem 14. Jahrhundert stammt und im 15. Jahrhundert lokal erneuert wurde. In der Neuzeit diente das Haus als Bäckerei, die 1896 von August Wagner übernommen worden war. 1991/92 erfolgte der Umbau des zwischenzeitlich von der Marktgemeinde erworbenen Hauses für die Zwecke eines Gendarmeriepostens, der zuvor im Gemeindeamt untergebracht war.
Das Haus Marktplatz 23 ist überregional von besonderer Bedeutung. Einerseits manifestiert sich hier der südliche Endpunkt einer planmäßigen Marktgestaltung, deren Datierung damit möglich wird. Andererseits stellt der relativ gut erhaltene Kernbau einen einzigartigen Herrschafts- und Verwaltungsbau im Siedlungskontext dar, wie er sonst in Niederösterreich kaum mehr zu fassen ist.
In enger Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt wird die Straßenfassade von einer darauf spezialisierten Fachfirma saniert. Hierfür wurde der schadhafte Putz abgeschlagen, um eine Austrocknung über die Wintermonate zu ermöglichen.
Im Frühjahr 2025 soll der neue Putz aufgebracht werden, wobei eine für die vorliegenden Gegebenheiten optimale Ausführung gemeinsam mit dem Bundesdenkmalamt und der Fassadenfirma erarbeitet wird. Ziel ist es, die historische Bausubstanz an die heutigen Anforderungen und Gegebenheiten wie beispielsweise Klimaveränderungen bzw. Straßenführung und Verkehr im Rahmen der Richtlinien für Denkmalschutz anzugleichen, um so das Gebäude in seiner historisch wertvollen Weise auch für die zukünftigen Generationen zu bewahren.
Patrick Schicht/Gregor Gatscher-Riedl