Offener Brief des Gemeinderates zu Ausbau der Südbahn

Der Gemeinderat der Marktgemeinde Perchtoldsdorf richtete sich am 12. Mai 2022 in einem offenen Brief an Bundesministerin Leonore Gewessler und an den Vorstandsvorsitzenden der ÖBB, Andreas Matthä, betreffend den von der ÖBB geplanten 4-gleisigen Ausbau der Südbahn im Bereich von Perchtoldsdorf.

Der Gemeinderat formuliert in diesem Brief seine Erwartung nach einer Win-win Situation. Einerseits eine Verbesserung für die Anrainerinnen und Anrainer und andererseits für die Umwelt, d.h. den Ausbau des öffentlichen Verkehrs.


Sehr geehrte Frau Bundesministerin,


die Strecke zwischen Meidling und Mödling soll in den nächsten Jahren von zwei auf vier Spuren ausgebaut werden. Bekanntermaßen ist dieser Streckenabschnitt mit mehr als 400 Zügen täglich bereits jetzt einer der am stärksten frequentierten Bahnabschnitte in Österreich. Ein Teil dieser Strecke führt durch das Gemeindegebiet der Marktgemeinde Perchtoldsdorf.


Durch diesen Ausbau soll der Takt erhöht werden und damit auch die Zahl der Züge. Zu der Notwendigkeit dieser Maßnahme haben die politischen Fraktionen im Perchtoldsdorfer Gemeinderat unterschiedliche Zugänge. Soweit es jedoch die in diesem Schreiben angesprochenen Punkte betrifft, besteht über die politischen Grenzen hinaus Einigkeit, sodass der Gemeinderat der Marktgemeinde Perchtoldsdorf in seiner Sitzung vom 4. Mai 2022 diesen offenen Brief beschlossen hat.


Entlang der bereits jetzt bestehenden Bahnstrecke wohnen und leben zahlreiche Anrainer:innen, die durch den bereits jetzt sehr intensiven Bahnverkehr in ihrer Wohnqualität beeinträchtigt sind. Durch den Ausbau der Bahnstrecke und der damit verbundenen Erhöhung des Zugaufkommens ist mit einer weiteren Belastung zu rechnen. Die Vorteile, die sich die ÖBB von dieser Maßnahme erwarten, können aber nicht zu Lasten der Anrainer:innen gehen.


Wir erwarten daher von den ÖBB, dass alle erdenklichen Maßnahmen ergriffen werden, um eine weitere Belastung der Anrainer:innen zu vermeiden und nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten eine Verbesserung beim Lärmschutz aber auch beim Schutz vor anderen Emissionen gegenüber der aktuellen Situation erreicht wird, unabhängig davon, welche Maßnahmen in Zuge des noch durchzuführenden Genehmigungsverfahren vorgeschrieben werden.


Im Zuge dessen fordern wir daher die ÖBB auf, die geplanten Maßnahmen hinsichtlich Lärm, nicht nur im direkt gelegenen Umfeld der Bahnstrecke auf ihre Schutztauglichkeit zu prüfen, sondern Lärmschutzwände und Einhausungen so zu errichten, dass im gesamten Gemeindegebiet die Belastung aller Bürger:innen, die durch die Verteilung des Lärms auf andere Gebiete als die direkte Umgebung gestört werden könnten, verhindert wird. Hierzu sind daher Simulationen auch unter Berücksichtigung der nach dem Ausbau erhöhten Zugfrequenz durchzuführen und entsprechend zu berücksichtigen.


Weiters fordern wir von den ÖBB, dass der Flächenverbrauch und die Versiegelung auf ein absolutes Minimum reduziert werden. Die an die Bahnstrecke angrenzenden Flächen stellen einen wichtigen Lebensraum auch für Tiere und Pflanzen dar, den es so weit als irgendwie möglich zu erhalten gilt. Auch hier erwarten wir, dass dieser Umstand bereits bei der Planung berücksichtigt wird. Die Marktgemeinde Perchtoldsdorf wird bei allenfalls notwendigen Umwidmungen berücksichtigen, ob die Projektierung der ÖBB diesem Kriterium entspricht und die Interessen der Anrainer:innen entsprechend gewahrt werden.


Gleiches gilt für Flächen, die derzeit im Eigentum Dritter stehen. Wir erwarten von den ÖBB, dass Eingriffe in das Eigentum von Anrainern nur dort in Betracht gezogen werden, wo diese nach Prüfung aller Alternativen als absolut unerlässlich angesehen werden, sowie, dass in diesen Fällen eine einvernehmliche Lösung mit den Anrainern gesucht wird. Enteignungen können hier nur das allerletzte Mittel der Wahl sein!


Weiters wird der Ausbau dieser Bahnstrecke auch Einfluss auf den sonstigen Verkehr haben. Wir erwarten in diesem Zusammenhang eine Erhöhung des Angebots von Parkmöglichkeiten für Bahnkunden bei der bestehenden Park-and-Ride-Anlage sowie Konzepte für das damit verbundene erhöhte Verkehrsaufkommen rund um Bahnhöfe unter besonderer Berücksichtigung des Fuß- und Radverkehrs. Eine Querungsmöglichkeit der Südbahn in Höhe Rudolf-Hochmayer-Gasse auf Kosten der ÖBB erachten wir z.B. als eine diesbezüglich notwendige Maßnahme.


Im Zuge dessen ist auch darauf hinzuweisen, dass die örtliche Bahnbrücke erst vor wenigen Jahren aufwändig saniert wurde. Wir erwarten daher eine vollständige Kostenübernahme durch die ÖBB, sollte ein Neubau der Brücke notwendig werden, so wie wir überhaupt feststellen, dass der geplante Ausbau nicht zu einer finanziellen Belastung der Marktgemeinde Perchtoldsdorf führen darf.


Die ÖBB haben im Rahmen von Informationsveranstaltungen in den letzten Wochen über das geplante Projekt die Anrainer:innen informiert. Wir sehen dies durchaus positiv und wünschen uns, dass sowohl Anrainer:innen als auch die Marktgemeinde Perchtoldsdorf selbst in Zukunft informiert werden und dieses Projekt maximal transparent abgewickelt wird. Wir wünschen uns aber auch, dass bei dieser Gelegenheit die Anliegen der Betroffenen ernst genommen und entsprechend berücksichtigt werden.

Nur auf diese Weise ist es möglich, das gegenständliche Projekt auf ein Weise zu realisieren, bei der nicht die Bahnkunden zu Lasten der Anrainer:innen gewinnen, sondern alle auf unterschiedliche Weise profitieren und damit auch die Akzeptanz des Projektes erhöht wird, was letztlich für alle vorteilhaft sein sollte.“


Mit freundlichen Grüßen


Bürgermeisterin Andrea KÖ                                     Vizebürgermeister Christian Apl

VP Perchtoldsdorf                                                     Die GRÜNEN Perchtoldsdorf 



gf GRin Gabriele Wladyka                  GRin Ing. Susanne Giffinger              GR Christoph Müller

Bürgerliste Perchtoldsdorf                 SPÖ Perchtoldsdorf                           NEOS Perchtoldsdorf



Dieser Brief erging ebenso an den Vorstandsvorsitzenden der ÖBB, Herrn Andreas Matthä.


Hier finden Sie das  Antwortschreiben der ÖBB

22.07.2022